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"Improvisieren braucht kein Vorwissen"

Florian Willeitner im Interview

© Philipp Reise

Von Philipp Reise, Kristin Härtel, Liv-Berit Heinz und Jakob Roth am veröffentlicht.

Der Musiker wird vieles genannt: Geiger, Komponist und manchmal sogar Multitalent. Fakt ist, sein Interesse geht weit über das hinaus, was klassische Künstler normalerweise beschäftigt. Besonders in Bezug auf Spieltechniken und Musiksprachen.

Florian, Improvisation ist heutzutage in der Klassik gar nicht so sehr ein Thema. Warum bei dir schon?

Mein Einstieg ins Improvisieren kam durch den Jazz, wo es auf ganz natürliche Weise ein Teil der Spielpraxis ist. Da ich schon immer in mehreren Genres aktiv war, hat sich bei mir einfach keine Grenze ergeben. Und ich finde es spannend, den Leuten eben auch in klassischen Kontexten diese Form des Kreierens wieder näherzubringen. Das gibt jedem einfach so viel Mehrwert. Auch speziell im klassischen Kontext, wenn man improvisieren kann und weiß, wie sich das anfühlt.

Wie bringst du klassischen Nachwuchsinterpret:innen bei, sich ein Stück weit vom Notentext zu lösen?

Ganz oft gibt es eine natürlich gewachsene Hemmschwelle bei rein klassisch ausgebildeten Musiker:innen. Eben dann, wenn dieses spontane Erschaffen im Studium kaum oder gar nicht thematisiert wird. Sie werden darauf gedrillt, Noten nach Text perfekt zu spielen, was ja auch ein sehr wichtiger Bestandteil klassischen Musikertums ist. Aber genau wegen dieser Hemmschwelle geht es mir am Anfang darum, einfache Einstiege in die Welt des Improvisierens zu finden. Und zu zeigen, dass das kein Vorwissen braucht. Man ist als musikalischer Mensch nämlich schon so voll mit Inhalten, die man auch in der Improvisation nutzen kann. Ich meine, wir alle kennen Dur, Moll oder Kirchentonarten. Und der Einstieg wäre dann, aus diesen sieben Tönen eine eigene musikalische Geschichte zu formen.

Welche drei Tipps würdest du jungen Musiker:innen für das Improvisieren mitgeben?

Erstens: Baut einfache Improvisationsübungen in eure tägliche Überroutine ein. Das beschäftigt andere Hirnregionen und macht euch insgesamt viel effektiver, auch beim Üben von schwierigen Stellen. Stichwort verschiedene Hirnregionen: Der Wechsel kann euch helfen, in bestimmte Stile vorzudringen, zum Beispiel in die Groovemusik. Beschäftigt euch wirklich mit der grundsätzlichen Funktionsweise dieser Musik, also ihrer DNA. Fragt euch: Was zeichnet diese Musik aus? Spürt auf den Puls, auf dem alles basiert. Dieses Körpergefühl ist enorm wichtig. Und drittens: Traut euch! Das ist wahrscheinlich der wichtigste Tipp. Traut euch nicht nur auf Bühnen, sondern auch bei Präsentationen oder beim Jammen mit Freunden, in Situationen, wo ihr unvorbereitet seid. Genießt diesen krassen Nervenkitzel und habt keine Angst davor. Das Publikum liebt solche Momente. Da gehört viel Mut dazu. Aber es macht auch süchtig.

Traut euch, zu improvisieren!– Florian Willeitner

Mit dem Projekt First Strings on Mars (2021) hast du Musikeinflüsse aus Jazz, Klassik oder Latin zusammengebracht. Jetzt gibt es mit What the Fugue? ein Projekt aus verschiedenen Keys, also zeitgenössischen Musiksprachen. Wie kommst du immer auf solche Ideen?

First Strings on Mars war ein Album-Projekt von vor vier, fünf Jahren. Wir waren drei sehr breit aufgestellte Musiker, die alle auch komponieren konnten. Und wir haben dann unsere Inhalte zusammengemischt, auf Platte gepresst und zum Mars geschickt. Daher auch der Name. Also falls jemals ein Mensch zum Mars kommt, unsere Musik ist schon dort. What the Fugue? ist mein aktuellstes Projekt. Es hat zwar einen provokanten Titel, der catchen soll. Aber letztendlich ist es nichts anderes als ein Präludien- und Fugen-Album. Diese klassischen Formen gibt es schon seit Jahrhunderten. Es sind unglaubliche Baukästen mit tollen Spielweisen, die man als Komponist im Hier und Jetzt vielseitig und mit großer Ernsthaftigkeit nutzen kann und sollte. Ich interessiere mich für die Vergangenheit, aber eben auch für das, was es im Hier und Jetzt zu holen gibt.

Du stehst für einen bunten Mix aus Musikeinflüssen. Wie bunt darf es werden, wo liegt für dich die Grenze?

Wenn man viele Dinge vermischt, birgt das oft die Gefahr, dass es keine Substanz mehr hat. Das wurde mir und meinem Ensemble teilweise schon konkret vorgeworfen, zum Beispiel bei der Mozartwoche in Salzburg. Dort haben wir ein Projekt gemacht, das hieß Mozart in the Wind. Da hatten wir unter anderem zwei irische Musiker dabei, eine Geigerin und einen Sänger. Ich fand es super, aber es war auch sehr auf die Vermischung von verschiedensten Kulturen ausgelegt. Mein Konzept ist aber nicht die Kulturvermischung an sich. Die ergibt sich aus meiner Arbeit. Und daraus, mit wem ich zusammenarbeite. Speziell für uns Musiker existiert in Deutschland so ein unfassbar großes schöpferisches, kulturelles Potential. Ich glaube, das ist eine unserer größten Chancen. Auch durch die ganzen Migrationsströme, die leider sonst fast nur negativ behandelt werden.

Du hast schon öfter fremde Werke wiederverwertet. Nicht nur in Form von Musik, sondern zum Beispiel auch als Performance. Wie wählst du die Werke aus, die du dann zu neuer Kunst verarbeitest?

Bisher gab es oft einen konkreten Anlass. Nehmen wir zum Beispiel mein Projekt Mozart in the Shape of Europe. Ich habe es für den EU-Flüchtlingsgipfel 2018 in Salzburg komponiert. Als ehemaliger Student hab ich bis heute eine enge Bindung mit der Musikhochschule dort. Die haben mich angefragt, im Rahmen des EU-Gipfels mit über das Flüchtlingsthema zu diskutieren und dazu ein symbolisches Stück zu komponieren. Mir war wichtig, darin etwas von Mozart aufzugreifen, das jeder kennt. So bin ich auf die kleine Nachtmusik gekommen. Ich habe ihr Kopfthema genommen und es in verschiedenen europäischen und außereuropäischen Musikstilen variiert. Das sollte zeigen, wie allgemeingültig Mozarts Musik ist, und in wie viele Formen sie sich bringen lässt. Mozart in the Shape of Europe war ein Statement für Humanität und die Schönheit von Diversität.

Wie komponierst du?

Den Komponierprozess gibt es nicht. Und ich weiß auch aus eigener Erfahrung, dass ich das eine Rezept nie finden werde. Aber was ich schon versuche, regelmäßig und sorgfältig zu machen, ist, Routinen einzubauen. Wenn ich irgendeine Idee habe, singe ich sie in mein Handy oder spiele sie am Klavier oder auf der Geige ein. Dabei belasse ich es aber nicht. Ich versuche, jeden Monat an einem Tag alle Ideen, die da drauf sind, zu transkribieren und irgendwie zu katalogisieren. So habe ich immer einen Fundus an Ideen, aus dem ich schöpfen kann. Das hat sich ziemlich bewährt. Ich kann das allen, die ins kreative Arbeiten kommen wollen, nur empfehlen. Organisiert eure eigenen Ideen und beschäftigt euch immer wieder damit.

Was ist das Wichtigste bei deiner Arbeit?

Ich weiß gar nicht, ob meine Arbeit wichtig ist. Das will ich auch nicht entscheiden. Mir ist einfach wichtig, dass ich Dinge mache, von denen ich denke, dass sie eine gewisse Qualität und Relevanz haben. Dass ich Leute finde, mit denen ich das umsetzen kann. Das ist gar nicht so einfach. Es gibt leider immer noch zu wenige Musiker:innen, die sich vielseitig ausbilden. Dabei müssen wir der gleichen Ernsthaftigkeit, mit der wir Klassik studieren, auch anderen Stilen und Spielpraxen begegnen. Mein größter Feind sind Crossover-Projekte, die ganz oberflächlich an verschiedenen Stilelementen kratzen und dann auf dem Altar des Kommerz geopfert werden, um möglichst viele Klickzahlen zu bringen.

Niemand soll Angst vor zeitgenössischer Musik haben.– Florian Willeitner

Wen willst du ansprechen?

Ganz einfach alle, die es interessiert. Es ist mir ein besonderes Anliegen, junge Menschen anzusprechen. Das gelingt mir mit meinem Streichquartett mittlerweile sehr gut. Die Community an jungen Musiker:innen, die wirklich Bock darauf haben, wird nämlich immer größer. Mit What The Fugue? will ich neben Kennern, also Liebhabern von beispielsweise Bachs oder Schostakowitschs Kunst, auch neue Fans für den Kosmos Fuge begeistern. Niemand soll Angst haben, nur weil etwas von zeitgenössischer Musik auf dem Flyer steht.

Denkst du, deine Musik wird Künstlergenerationen in der Zukunft beeinflussen?

Das ist eine gute Frage (lacht). Ich weiß es nicht. Und ich denke auch nicht wirklich daran. Ich freue mich, wenn ich jetzt, hier und heute, Menschen begeistern kann. Ob das in 50 Jahren eine Rolle spielt oder nicht, ist mir eigentlich wurscht.

(Interview: Philipp Reise)

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