Türen aus Glas?
Gleichstellung an Musikhochschulen

© Laura Schiffler
Gleichstellungsbeauftragte Nanny Drechsler über Rollenklischees, weibliche Vorbilder und #metoo an Musikhochschulen
© HfM Karlsruhe
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An der Hochschule für Musik in Karlsruhe sind ungefähr 700 Studierende immatrikuliert. Diese haben alle etwas gemeinsam: Die Leidenschaft für die Musik. Doch gleichzeitig sind alle Studierende verschieden. Weiblich, männlich, divers, unterschiedlicher Herkunft und aus unterschiedlichen Kulturkreisen. Damit sichergestellt ist, dass alle gleich behandelt werden, muss jede Musikhochschule in Deutschland ein Gleichstellungsgremium und eine Gleichstellungsbeauftragte haben. In Karlsruhe ist das Prof. Dr. Nanny Drechsler. Sie macht ihren Job sehr gerne, und das schon seit mehr als zehn Jahren.
Bei Gleichstellung denken die meisten an benachteiligte Frauen. Das habe mit den Rollenbildern zu tun, die die Gesellschaft jahrzehntelang verinnerlicht hätte, sagt Nanny Drechsler. Und zitiert eine Doktor Oetker-Werbung aus den 1950ern: „Frauchen hat abends einen Pudding gekocht und der Mann ist so glücklich“. Sie lacht und verdreht die Augen. Doch Nanny Drechsler und Ihre KollegInnen in der Gleichstellungskommission sind genauso für Männer da. Auch die können sich benachteiligt fühlen. Bei Kindern und Jugendlichen gelten heutzutage sogar die Jungen als das Geschlecht, um das man sich mehr Sorgen macht: Sie haben schlechtere Noten, sind gewaltbereiter; Mädchen sind oft leistungsstärker.
Studierende haben Oberhand
Nanny Drechsler empfängt in ihrer Sprechstunde jede Woche ein bis zwei Studierende. Diese kommen aus ganz unterschiedlichen Gründen: Zum Beispiel wenn sie sich im Unterricht nicht respektvoll behandelt fühlen. Nanny Drechsler ist aber auch da, wenn es Probleme im Leben außerhalb der Hochschule gibt. Zu den extremen Fällen gehören hauptsächlich Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt. Zunächst einmal geht es nur um das Gespräch. Ob darüber hinaus etwas unternommen werden soll - etwa ob Anschuldigungen konkret nachgegangen werden soll - entscheiden die Studierenden. „Ich mache nichts, was die Studierenden nicht möchten“ betont Drechsler. In Fällen wie körperlicher Gewalt oder Mobbing ist sie jedoch verpflichtet einzugreifen.
Worte sind Waffen!
Der frühere Präsident der Münchner Musikhochschule wurde wegen sexueller Nötigung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Einen solchen Fall gab es an der HfM Karlsruhe noch nie. Aber #metoo ist trotzdem auch hier ein Thema, sagt Nanny Drechsler. Der Vorfall in München hat sie extrem bestürzt. „Wir sollten uns an der Hochschule immer fragen: Wie können wir respektvoll und würdig miteinander umgehen?“ Dabei spielen Machtpositionen, wie DirigentInnen oder LehrerInnen sie haben, eine große Rolle. „Ich kann jemanden doch nicht einfach anfassen. Oder ich kann zu jemandem nicht sagen >jetzt atmen Sie mal besser!< Oder >ziehen Sie sich ´nen BH an<. Worte sind Waffen!“
Türen aus Glas an amerikanischen Musikhochschulen
© Bild von Niek Verlaan auf Pixabay
Eines der größten Probleme in der Hinsicht ist, dass es an Musikhochschulen Einzelunterricht mit körperlicher Nähe geben muss. In amerikanischen Musikhochschulen gibt es deshalb schon Türen aus Glas. Die Gleichstellungsbeauftragte ist sich unschlüssig, ob das ein gutes Modell auch für Deutschland sein könnte. Einerseits kann sich niemand unbeobachtet fühlen, was Übergriffe erschwert, andererseits wäre das ein starker Eingriff in die Privatsphäre.
Nanny Drechsler wünscht sich viel mehr Veranstaltungen, die nach außen gerichtet sind. Sie möchte neue Komponistinnen einladen und mit dem Kulturamt und der Singer-Songwriterin Louise-Lotte Edler etwas zum Thema „Popfeminismus“ organisieren. Dabei möchte sie auch interkulturell arbeiten.
"Heldengestus" und "Heroengeschichte"
Wie wichtig Gleichstellung ist, machen folgende Zahlen deutlich: Komponierende Frauen verdienen im Schnitt 35 Prozent weniger als Männer. Wenn sie überhaupt Aufträge bekommen. Denn Studien des deutschen Kulturrats zeigen: Nur rund 10 Prozent der Tätigen im Bereich Komposition waren in den letzten Jahren Frauen. Das ist sogar ein Fortschritt. Früher gab es nämlich fast keine komponierenden Frauen im Beruf, das gleiche gilt für Dirigentinnen. Laut Nanny Drechsler hat das mit dem „Heldengestus“ und der „Heroengeschichte“ zu tun – also damit, dass in der Vergangenheit oft der Mann als das starke, machtvolle Geschlecht dargestellt wurde. Die Frauen waren eher dafür da, die Männer in den großen Positionen zu unterstützen und durften selbst keinen Beruf ausüben, obwohl Frauen auch schon vor über 50 Jahren Komposition studiert haben. Damit sich das wirklich ändert, appelliert Nanny Drechsler auch an die Frauen: „Schlaft nicht vor euch hin und übt nur, sondern seid wach und habt Freude daran, Neues auszuprobieren“. Sie hat sich in in ihrer Studienzeit schon mit feministischer Musikwissenschaft auseinandergesetzt und bekam dabei immer wieder zu hören: „Du ruinierst dir deine Karriere mit deinem feministischen Fimmel! Lass das doch sein!“ Sie ließ sich aber nicht beirren: Heute ist das ein wichtiger Teil ihrer Arbeit. Dass man gerne eine starke Frau sein und gegen Benachteiligung etwas tun kann, möchte sie auch an die Studierenden weitergeben.
Schlaft nicht vor euch hin und übt nur, sondern seid wach und habt Freude daran, Neues auszuprobieren!
Für die weiblichen Studierenden sei es ganz wichtig Vorbilder zu haben, sagt Nanny Drechsler. Doch das ist an der Hochschule für Musik in Karlsruhe nicht ganz einfach, denn es gibt in den Studiengängen Musikjournalismus, Musikinformatik beispielsweise gar keine weiblichen ProfessorInnen, und auch im Bläsersektor sind es wenige. Nanny Drechslers Blick auf das diesjährige Jubiläum der Hochschule ist deshalb eher getrübt. Doch es tut sich auch etwas: Mit Daniela Schneider bekommt die HfM demnächst eine Kanzlerin.
Die Gesprächssendung mit Nanny Drechsler in voller Länge zum Nachhören:
Dieser Audio-Beitrag enthält Gema-Material und musste aus diesem Grund 7 Tage nach Veröffentlichung depubliziert werden.