Vom OP in den Moshpit
Wenn Ärzt:innen die Instrumente wechseln

© Beate Fischer
Wer hätte gedacht, dass Ärzt:innen, die tagsüber durch Klinikflure eilen und im OP Höchstleistung bringen, abends auf der Bühne abrocken wie Profis? Genau das ist am Freitag, den 9. Mai 2025, bei der sechsten Klinikrocknacht im Karlsruher Substage passiert.
Im Mittelpunkt: die Ärzteband Like a Surgeon, deren Mitglieder hauptberuflich in der Chirurgie, Anästhesie oder Radiologie arbeiten – und in ihrer Freizeit mit ganzer Leidenschaft Musik machen.
Statt kühler Diagnosen gab es an diesem Abend laute Gitarren, Bläser und Moshpits. Rund 920 Menschen füllten den Club fast bis auf den letzten Platz. Ein Publikum aus Klinikmitarbeitenden, Freundeskreisen und Musikfans, das gekommen war, um gemeinsam zu feiern – weit weg vom Krankenhausalltag.
Entstanden ist die Band vor 16 Jahren eher zufällig – bei einer Abschiedsfeier für eine Kollegin. Heute hat sich Like a Surgeon zu einer festen Institution in Karlsruhe entwickelt.
Dr. med. Daniel Gärtner über die Bandgründung:
Wir denken nicht: Wir müssen jetzt was auf die Beine stellen. Sondern es ist im Prinzip der Lohn, dass wir zusammen Musik machen dürfen.
Veranstaltet und gesponsert wurde die Klinikrocknacht erneut gemeinsam vom Städtischen Klinikum, den ViDia Kliniken, SRH Langensteinbach und der Karlsruher Ärzteschaft. Der Eintritt war wie immer kostenlos – ein Dankeschön an das medizinische Personal.
Schon beim Einmarsch mit Nebel und Sirenengeheul wird klar: Hier geht es nicht um musikalische Perfektion, sondern um Leidenschaft. Fake-Tattoos, Goldketten, weite Hosen, Sonnenbrillen im Halbdunkel – das Bühnenoutfit liegt irgendwo zwischen Rockkonzert und 90er-Hip-Hop. Die Musik? Ein wilder Mix. Mit ihrer Setlist reist die Coverband quer durch Genres und Jahrzehnte: Von Deep Purple bis Amy Winehouse, von Rage Against the Machine bis Rio Reiser. Mal mit fettem Gitarrensound, mal mit Saxofonsolo oder Publikumschor – musikalisch ist der Abend alles andere als steril.
© Sophie Fink
Zwischen den Songs nehmen sich die Doktor:innen viel Raum – für Moderationen, Albernheiten, manchmal auch einfach zum Durchschnaufen. Frontsänger Dr. med. Steffen Münch führt humorvoll, mit einer Prise Selbstironie und einem feinen Gespür fürs Publikum durch das Programm. Teilweise fühlt es sich an wie eine unterhaltsame Bandprobe. Man nimmt sich Zeit, spielt ein bisschen, lacht miteinander. Mal schleichen sich falsche Töne ein, mal kennt das Publikum den Text besser als der Sänger – aber genau das macht den Abend aus: Es geht nicht darum, perfekt zu klingen – sondern authentisch zu sein. Und das heißt in diesem Fall: Spaß haben.
© Beate Fischer
Dr. med. Christine Gutmann am Saxophon
„Ich war letztens bei einer Urschreitherapie. Wenn man viel Frust hat, muss man einfach laut brüllen. Danach geht’s einem besser. Die nächste Nummer hab ich von dort mitgebracht.“ – kündigt Münch den folgenden Song Toxicity an. Es bleibt nicht bei einem Ausbruch. Bei Psychosocial entsteht ein Moshpit, ebenso bei Killing in the Name. „Gott sei Dank ist genug medizinisches Personal da.“ – der Running Gag des Abends.
Like a Surgeon wagt sich an diesem Abend erstmals an einen aktuellen Hit. The Emptiness Machine von Linkin Park. „Wir haben noch nie ein Lied gespielt, das so aktuell ist. Aber wir machen’s trotzdem.“ Eine Anspielung auf die neue Stimme der US-amerikanischen Band darf natürlich nicht fehlen: „Der Schorsch hatte sich ja bei Linkin Park als Frontsänger beworben. Er war auch in der Endrunde. Jetzt hat’s diese Holländerin gemacht. Deren Pech – unser Glück.“
Später, gegen 23 Uhr, kündigt die Ärzteband mit Don't Look Back in Anger ihren letzten Song an. Die Antwort aus dem Publikum: Buh-Rufe. „Ich hab’ eine Gewerkschaft. Ich hab’ Arbeitszeiten. Um elf ist Schluss.“, kontert Münch.
Natürlich bleibt es nicht dabei. Die Band kommt zurück. Auf der Bühne hängt jetzt ein Leintuch mit medizinischen Geräten und dem Bandlogo. Das Bühnenbild ist gewechselt, die Stimmung noch einmal auf dem Höhepunkt. 50 Ways to Say Goodbye bringt die Bläsersektion zurück auf die Bühne, Last Resort eine letzte Mitgrölrunde. Und mit Sweet Caroline bewirbt sich Like a Surgeon für das nächste Oktoberfest.
© Beate Fischer
Zum Abschluss dann: Verdammt lang her – mit ausgiebigem Saxofonsolo von Dr. med. Christine Gutmann, auch "Tine" genannt, die als einzige Frau in der Band die Stellung hält. Jubel bricht aus. Münch wird kurz nachdenklich: „Ist schon ’ne ganz schön lange Zeit her, als wir mit diesem Bums angefangen haben – 16 Jahre. Ich habe vorhin schon allen gedankt, die uns auf dem Weg gesponsert und begleitet haben. Es war ein unglaubliches Fest für uns, mit euch zusammen zu feiern. Danke an das weltbeste Publikum!“ Dann das finale Foto: „Ich will eure Hände sehen!“ – Hunderte Arme recken sich. Die Band verbeugt sich.
Nach über zwei Stunden Musiktherapie entlässt die Ärzteband Like a Surgeon ihr Publikum mit einer eindeutigen Diagnose:
stabile Vitalzeichen, euphorische Stimmung, hochansteckende Ohrwürmer.
Die sechste Klinikrocknacht endet, wie sie begonnen hat – laut, ehrlich, mitreißend. Und mit einem klaren Befund:
Musik verbindet – und ist manchmal die beste Form von Ausgleich. Ganz ohne Nebenwirkungen.





Dr. med. Christoph Schulte & Dr. med. Daniel Gärtner (Bild: Beate Fischer)